Brasília – die am Reißbrett entworfene Hauptstadt
Der brasilianische Architekt Oscar Niemeyer, der zusammen mit dem Stadtplaner Lúcio Costa Brasília entwarf, brachte die Beschreibung dieser außergewöhnlichen Stadt auf den Punkt: „Sie können diese Stadt mögen oder nicht, aber Sie können nicht behaupten, so etwas schon einmal gesehen zu haben“. Der sowjetische Kosmonaut Juri Gagarin, der als erster Mensch in den Weltraum flog, staunte bei einem Besuch über Brasília, dass es ihm vorkomme wie auf einem anderen Planeten. Zugegeben, Brasília ist nicht die erste Adresse für Brasilienurlauber. Für die Sehenswürdigkeiten, die es aus meiner Sicht in sich haben, braucht man nur einen Tag. Die extravagante futuristische Architektur jedoch macht diese Stadt, die schon seit 1987 auf der Liste der UNESCO-Weltkulturerbe steht, für den Besucher einzigartig.
Der alte Traum von der Hauptstadt im Inneren des Landes
Obwohl Brasília erst 1960 nach nur vierjähriger Bauzeit fertiggestellt und eingeweiht wurde, geht die Idee, die Hauptstadt Brasiliens von der Küste ins Landesinnere zu verlegen auf das Jahr 1789 zurück. Demnach sollte der künftige Regierungssitz von Rio de Janeiro nach São João del Rei im Bundesstaat Minas Gerais, knapp 200 km südlich von Belo Horizonte, verlegt werden. Der Name „Brasília“ tauchte erstmals im Jahre 1823 auf, als der brasilianische Mineraloge und Staatsmann José Bonifácio de Andrade e Silva diesen Namen für die künftige neue Hauptstadt vorschlug. 1877 machte der Historiker und Diplomat Francisco Adolfo de Varnhagen den fast exakten Standort auf einer zentralen Hochebene in ca. 1 100 m Höhe aus, wo Brasília heute liegt.
1891 wurde das Vorhaben, im Landesinneren die neue Hauptstadt zu bauen, gesetzlich verankert, worauf die Grundsteinlegung am 7. September 1922 in der Nähe der Stadt Planaltina folgte. Die Anordnung zum weiteren Ausbau der Stadt erteilte der Präsident Getúlio Vargas, die Umsetzung des Projektes „Brasília“ erfolgte ab dem 22. Oktober 1956 unter dem Präsidenten Juscelino Kubitschek. Die Bauzeit dauerte, wie schon erwähnt, knapp vier Jahre, an dem bis zu 30 000 Arbeiter aus allen Landesteilen Brasiliens beteiligt waren. Die Einweihung Brasílias fand am 21. April 1960 statt. Die drei Verantwortlichen, die Brasília ihren Stempel aufdrückten waren der Stadtplaner Lúcio Costa, der Landschaftsarchitekt Burle Marx und der Architekt Oscar Niemeyer.
Vor allem Oscar Niemeyer hat die Stadt die außergewöhnliche Architektur der öffentlichen Gebäude zu verdanken. Er verfolgte damit die persönliche Idee, eine Stadt für alle Brasilianer entstehen zu lassen. Der Titel des UNESCO-Weltkulturerbes, den Brasília 1987 verliehen bekam, ist nicht nur der futuristischen Architektur Niemeyers geschuldet, sondern auch der Tatsache, dass sie die erste und einzige Hauptstadt der Welt ist, die im 20. Jahrhundert entstand.
Kathedrale von Brasília mit Nationalkongress und Ministerien im Hintergrund
Einen Gang durch die Hauptstadt aus der Retorte
Eines vorweg: Wer in Brasília das tropische Urlaubsparadies sucht, wird auf jeden Fall enttäuscht werden, obwohl dies auch im Auge des Betrachters liegt. Für Reisende, die sich für moderne und außergewöhnliche Architektur interessieren, Architektur studieren oder dem Beruf des Architekten sogar nachgehen, ist diese Stadt genau des Richtige und meiner Meinung nach ein absolutes Muss. Allein aber auch der Grundriss der „Innenstadt“ birgt eine absolute Kuriosität: er sieht von oben gesehen aus wie ein Flugzeug und ist symmetrisch angelegt. Er wird auch „Plano Piloto“ genannt, als Synonym für den zentralen Teil Brasílias. Die „Flügel“ stellen die so genannten „Superquadras“, getragen von der Nord-Süd-Achse „Eixo Rodoviária“, dar, die hauptsächlich aus Wohnhaussiedlungen bestehen, aber auch Geschäfte und Restaurants beinhalten.
Ein Nachtleben findet nur im begrenzten Maße statt: die Anzahl der Bars und Diskotheken ist limitiert, zu dem liegen sie auch ziemlich weit auseinander, also nicht unbedingt ein Mekka für Partylöwen und Nachtschwärmer. Trotzdem ist der „Plano Piloto“ der interessanteste Teil der Stadt, denn dort liegen nahezu alle Bauwerke, die Brasília ausmachen. Zwischen den beiden „Flügeln“, welche die Superquadras repräsentieren, verläuft die Monumentalachse (Eixo Monumental), auch Ost-West-Achse genannt, vom nationalen Busbahnhof (Estação Rodoferroviária) über das Mausoleum Juscelino Kubitscheks (Memorial JK) am Fernsehturm Brasília (Torre de Televisão) vorbei bis zum Platz der drei Gewalten (Praça dos Três Poderes). Unmittelbar davor ist auch der Nationalkongress mit Parlament und Senat (Congresso National) positioniert. Der Streckenabschnitt vom Fernsehturm bis zum Platz der drei Gewalten ist zu Fuß begehbar, allerdings auch 2-3 km lang. Die gesamte Monumentalachse hat hingegen eine Gesamtlänge von ca. 5-6 km. Daher empfiehlt es sich, öffentliche Verkehrsmittel wie Busse zu benutzen.
Ich persönlich hatte bei den drei Malen, in denen ich die Stadt besuchte, einen Bekannten zur Hand, der auch ein Auto besaß. Damit ist man natürlich am besten bedient, wobei mir natürlich klar ist, dass nicht jeder Brasília-Reisende dieses Glück hat.
Nationalkongress (Parlament und Senat)
Memorial JK
Startend vom nationalen Busbahnhof aus in Richtung Nationalkongress und Platz der drei Gewalten, kommt man nach ca. 1 km zum Mausoleum Juscelino Kubitscheks (Memorial JK). Dieses ist eine nationale Gedenkstätte zu Ehren Juscelino Kubitscheks, in dessen Amtszeit der Bau Brasílias fällt. Das Mausoleum ist eines von vielen Gebäuden, die von Oscar Niemeyer entworfen wurden. Auf dem Dach trohnt eine übergroße Statue Kubitscheks (ca. 4,5 m) in einer stilisierten Sichel des Künstlers Honório Peçanha sowie neben dran eine Betonschale als abstrakte künstlerische Form. Im Inneren des Gebäudes befinden sich in einem Sarkophag die sterblichen Überreste des Präsidenten und von Oscar Niemeyer entworfene Ledersitzgruppen. Da das Gebäude keine Fenster hat, ist die einzige natürliche Lichtquelle ein rot gefärbtes Fenstermosaik über dem Sarkophag Kubitscheks.
In unmittelbarer Nähe des Memorial JK befindet sich das „Memorial dos Povos Indigenas“, in dem Gegenstände von indigenen Ureinwohner ausgestellt sind. Das Gebäude ist auch ein Bauwerks aus der Hand Niemeyers. Auf halben Weg zum Fernsehturm Brasília liegt auch das für die WM 2014 neu gebaute „Estadio Nacional Mané Garrincha“.
Pantheon des Vaterland und der Freiheit mit dem Platz der drei Gewalten
Fernsehturm Brasília (Torre de Televisão)
Das mit 224 m höchste Gebäude der brasilianischen Hauptstadt ist für die Übertragung von UKW- und Fernsehfrequenzen in Brasília zuständig. Eine Aussichtsplattform befindet sich auf ca. 75 m Höhe. Der Fernsehturm wurde vom Stadtplaner Lúcio Costa entworfen und ist neben dem Nationalkongress eines der Wahrzeichen Brasílias. Zwischen 1965 und 1967 wurde der Turm errichtet und am 9. März 1967 eingeweiht.
Kathedrale von Brasília (Catedral Metropolitana)
en Auftakt zur „Esplanada dos Ministérios“ bildet die Kathedrale von Brasília, die mit vollständigem Namen „Catedral Metropolitana Nossa Senhora Aparecida“ heißt und ebenfalls von Oscar Niemeyer entworfen wurde. Der aus Beton und Glas bestehende kreisrunde Bau besticht durch seine hyperbolische Form, die durch 16 gleichartige Betonsäulen hervorgerufen wird. Vor der Kathedrale stehe vier überlebensgroße Skulpturen, welche die vier Evangelisten darstellen. Der Bau an sich ist halb in der Erde versenkt. Im Innenraum der Kathedrale schweben im Zentrum der Kuppel drei Engel. Eine Krypta befindet sich auch dort, in dessen Wände große Schubladen angebracht sind für die Särge der sterblichen Überreste künftiger Bischöfe. Ansonsten ist der Innenraum weitestgehend leer. Das besondere an dieser Kathedrale ist aber neben der Architektur ihre spezielle Akustik. Diese Akustik hat die Kathedrale mit anderen Bauwerken Niemeyers gemein, mit der speziellen Note, dass der Schall vom kreisrunden Betonsockel so gut weitergeleitet wird, dass eine Unterhaltung in Zimmerlautstärke bis auf 25 m Distanz möglich ist und als akustisches Phänomen gilt.
Nicht weit von der Kathedrale weg und ebenso als Auftakt zur „Esplanada dos Ministérios“ steht auf der Straßenseite der Kathedrale das Nationalmuseum (Museu Nacional de Brasília) und schräg gegenüber auf der anderen Seite das Nationaltheater (Teatro Nacional de Brasília). Beide Gebäude stechen auch durch ihre extravagante Form heraus und lohnen einen Besuch. Geht man weiter in Richtung Nationalkongress und Platz der drei Gewalten sieht man auf beiden Seiten der „Esplanada dos Ministérios“ die parallel angeordneten Gebäude der Ministerien.
Platz der drei Gewalten (Praça dos Trés Poderes) mit Nationalkongress (Congresso Nacional) und Präsidentenpalast (Palácio do Planalto)
Kommen wir nun zur Hauptattraktion des Spaziergangs entlang der Monumentalachse, nämlich zum Platz der drei Gewalten und dem unmittelbar davor befindlichen Nationalkongress. Für Besucher ist der Eintritt ins Kongressgebäude kostenfrei und man kann sich dort einer Führung gratis anschließen. Wenn man das wohl bekannteste Niemeyer-Gebäude und Wahrzeichen Brasílias von vorne mit Blick in Richtung Platz der drei Gewalten betrachtet, befindet sich rechts auf dem Dach des Gebäudes ein schüsselförmiges Gebilde. Dies stellt das Parlament oder die Abgeordnetenkammer dar. Auf der linken Seite des Daches liegt eine Kuppel, die den Senat (Vertretung der einzelnen Bundesstaaten) repräsentiert. Etwas weiter nach hinten versetzt aber genau in der Mitte zwischen Senat und Parlament stehen zwei „Zwillingstürme“, in denen sich die Büros der Abgeordneten befinden. Schaut man vom Nationalkongress direkt auf den Platz der drei Gewalten, so schaut man geradeaus automatisch auf das Pantheon des Vaterlandes und der Freiheit Tancredo Neves (Panteão da Pátria e da Liberdade Tancredo Neves), mit der Widmung aller Menschen, die sich für das Land Brasilien verdient gemacht haben, unabhängig davon ob Brasilianer oder nicht.
Benannt wurde es nach Tancredo Neves, einem kurz nach der Militärdiktatur gewählten Gouverneur des Bundesstaats Minas Gerais, der jedoch kurz vor seiner Amtseinführung im Jahre 1985 verstarb. Die Einweihung dieses Monuments, ebenso kreiert von Oscar Niemeyer, fand am 7. September 1986 statt. Direkt dahinter ist der Flaggenmast mit Brasiliens Nationalflagge, welche die größte gehisste Flagge der Welt ist. Links des Platzes befindet sich der „Palácio do Planalto“, der offizielle Arbeitsplatz des brasilianischen Staatspräsidenten. Es ist zusammen mit dem Nationalkongress eines der ältesten Gebäude Brasílias. Das hauptsächlich horizontale Gebäude ist vordergründig mit Säulen ausgestattet. Die Säulen haben teils runde und teils gerade Formen und lassen das Gebäude laut Aussage Niemeyers „leicht wie eine Feder auf den Boden“ landen, was auch seine beabsichtigte Wirkung war.
Mausoleum Juscelino Kubitschek
Auf der gegenüberliegenden Seite des „Palácio do Planalto“ liegt das Gebäude des Obersten Bundesgerichts (Supremo Tribunal Federal). Von der Bauweise ähnelt es außen stark dem „Palácio do Planalto“, nur in etwas kleinerer Form. Auch dieses Bauwerk Niemeyers zählt neben dem Nationalkongress und dem „Palácio do Planalto“ zu den Gründungsbauten Brasílias.
Mein Fazit
Auch wenn der gewöhnliche Brasilienurlauber andere Gegenden in der Regel vorzieht, so hat Brasília im Vergleich zu anderen brasilianischen Städten ein großes Sicherheitsplus. Ich persönlich kann auch sagen, dass Brasília durchaus interessanter sein kann, als es manch einer vermutet und man sich den Charme sowie die Wirkung der Bauwerke Oscar Niemeyers auf sich wirken lassen sollte. Denn man kann laut Niemeyer „nicht behaupten, so etwas schon einmal gesehen zu haben“.
Reisebericht & Fotos: Copyright Jens Flöck
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Jens Flöck
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